Wir Menschen zerstören den Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten. Eine kritische
Reflexion und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Ökotop – Vielleicht erinnerst du dich an diesen Begriff aus dem Biologieunterricht. Es handelt sich dabei um die kleinsten naturräumlichen Grundeinheiten, die Bausteine komplexer Ökosysteme. In jedem Ökotop liegen ganz spezifische Wechselwirkungen zwischen einem bestimmten Klima und einem pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Organismus vor. Sie sind in exakt diesem einzigartig und perfekt aufeinander abgestimmt. Jedes Lebewesen hat also seinen individuellen „Wohlfühl-Space“, einen natürlichen Lebensraum, der optimal zu seinen Bedürfnissen passt. Die Vorstellung, dass dieser auch in Zukunft erhalten bleibt, ist jedoch Stand heute – 7. April 2021 – utopisch.
Der Mensch – evolutionäres Wunder oder Plage seiner Umwelt?
Allerdings gilt die besagte Definition nicht ohne Ausnahme: Während wir den Koala z.B. vor allem in den Küstenregionen Süd- und Ostaustraliens finden, wo er gut versteckt, genüsslich ein paar Blätter Eukalyptus mampft oder die buschige Baumart Cape-Pillar-Sheoak sogar nur auf einer 20 Quadratkilometer großen Landzunge im Südosten Tasmaniens wächst, lebt der Mensch fast überall auf der Erde.
Vor rund 70.000 Jahren wanderte der Homo Sapiens von Ostafrika nach Arabien, breitete sich von dort rasch über weite Teile Europas und in Asien aus und eroberte die restliche Welt, so der Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Geholfen hat unseren Vorfahren dabei die Evolution, mit einem einzigartigen Kognitions-Apparat – unserem Gehirn. Das in den letzten Jahrhunderten den Turbo-Schalter umgelegt zu haben scheint. Insbesondere die Erkundungsreisen des 15. Jahrhunderts sowie die „wissenschaftliche Revolution“ haben dazu beigetragen, dass die noch unbekannten Flecken der Erde entdeckt und anschließend besiedelt wurden. Den einen Lebensraum des Menschen gibt es also nicht.
Das allein wäre nicht problematisch, wenn damit nicht gleichzeitig eine Philosophie einher gegangen wäre, die den Menschen als Mittelpunkt des Universums begreift: der Anthropozentrismus. Aufgrund seiner „Sonderstellung“ in der Natur wird der Mensch dabei als überlegene Spezies angesehen. In der Realität zeigt sich dies heute oft in einem rücksichtslosen Umgang mit der Natur, sowohl aus Gründen der Bereicherung, des Machtstrebens als auch des Bevölkerungswachstums. Wälder werden für neues Ackerland abgeholzt, der Bau neuer Häuser versiegelt den Boden. Das Fazit: Lebensraum für Tiere und Pflanzen wird zur Befriedigung unserer Bedürfnisse zerstört.
Fremde im Wohnzimmer hat keiner gern
Aber drehen wir den Spieß doch einmal um: Unser zu Hause gibt uns ein Gefühl der Sicherheit. Dort sammeln wir Erinnerungen, z.B. in Form von Fotos an der Wand, und können uns zurückziehen, wenn wir Zeit für uns brauchen. Unerwünschte Eindringlinge, die etwa unseren Kühlschrank plündern oder unsere Einrichtung demolieren, wünscht sich im eigenen Heim wohl keiner.
Wir erwarten, dass unsere Mitmenschen uns mit Respekt begegnen, uns gerecht behandeln und sich an die Gesetze des Rechtsstaates halten. Nur so funktioniert eine Demokratie. Aber bereits das tägliche Nachrichten-Update über neue Kriegs- und Krisengebiete zeigt: Nicht einmal das schaffen wir. Wenn uns schon ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Menschen untereinander schwerfällt, wie sollen wir dann die Tier- und Pflanzenwelt neben uns akzeptieren?
Doch eine Zukunft, die den Fortbestand der Zivilisation nicht gefährdet, braucht vielmehr ein Miteinander als ein Gegeneinander, eine Welt, in der jedes Lebewesen frei ist. In der es keine Unterwerfung, Ausbeutung und gar Überlebenskämpfe gibt. In der Menschen Lebensraum zurückgeben und schützen, statt in die Natur einzudringen und es sich in fremden Wohnzimmern bequem zu machen.
Zerstörung von Lebensraum – eine Antwort auf die Frage nach dem WARUM
Erst kürzlich flatterte bei mir ein Brief von Greenpeace ins Haus. Darin ging es um den
Zusammenhang zwischen Viehzucht und Urwaldzerstörung in Südamerika. Das brasilianische Institut für Weltraumforschung (INPE), das in der Vergangenheit bereits scharf von Jair Bolsonaro kritisiert wurde, habe im Oktober 2020 am Amazonas und im größten Binnen-Feuchtgebiet der Erde, dem Pantanal, 17.326 Brandherde registriert. Schwarz auf weiß steht geschrieben: „Offizielle Stellen vermuten, dass bis zu 98 Prozent der Brände von Menschen verursacht werden.“
Greenpeace zufolge bezwecken Farmer*innen dadurch, gezielt mehr Weideland für Rinderherden zu schaffen. Damit die Fleischkonzerne noch mehr Umsatz machen und die Preise für das ehemalige Luxusgut Fleisch noch weiter fallen? Denn gerade der günstige Verkaufspreis im Discounter verursacht gigantische, unumkehrbare Verluste. Bereits 30 Prozent des artenreichen UNESCO-Weltnaturerbes Pantanal seien allein im letzten Jahr von den Bränden verschlungen worden.
Bilder von Jose Sabino/pixabay und Bruno Kelly/REUTERS
Die Raritäten unserer Erde
Hast du schon einmal von der Roten Liste gehört? Auf ihr listet die Weltnaturschutzunion (IUCN) seltene und vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten auf und vermerkt ihre Gefährdungsstufe. Die Rote Liste soll alarmieren und Politiker*innen darauf aufmerksam machen, welche Arten z.B. durch Naturschutzgebiete gesetzlich besonders geschützt werden sollten.
Der Stand im Juli 2019: Von den 105.732 betrachteten Tier- und Pflanzenarten sind 28.338 bedroht. Dazu zählen z.B. die Massai-Giraffen in Tansania und Kenia. Ihr Bestand hat sich innerhalb der letzten 30 Jahre halbiert. Die Umweltschutzorganisation WWF schreibt, dass gleich sechs westafrikanische Affenarten, unter anderem die Rotscheitelmangabe, vom Aussterben bedroht sind. Und auch das rötliche Palisanderholz sei als begehrte Schmuggelware bald aus Madagaskar verschwunden.
Bilder von pixabay und Sebastian Niedlich/flickr
Gibt es trotzdem Hoffnung? Ja, es gibt Grund zum Optimismus, denn Tier- und Pflanzenarten können sich erholen. Zu den Gewinner*innen im Jahr 2018 zählten z.B. die Berggorillas und die Finnwale. Außerdem sind noch lange nicht alle Arten wissenschaftlichen untersucht oder gar entdeckt.
Lasst uns zum Abschluss philosophieren…
…über Gleichberechtigung und unser Menschenbild. Aber was ist der Mensch überhaupt? Eine traditionelle Antwort der Philosophie lautet: Ein vernünftiges Tier. Diese eine Begabung – Vernunft – unterscheidet demnach „das Tier“ Mensch von allen anderen Tieren. Nach dem Philosophen Immanuel Kant ist der Mensch somit als einziges Wesen Träger von Würde. Und die menschliche Würde ist bekanntlich unantastbar (Art 1 GG). Aber kann dieses Alleinstellungsmerkmal unser Handeln gegenüber den Tieren rechtfertigen?
Wir besitzen die Fähigkeit zur Introspektion, können nachdenken, hinterfragen und uns darüber unterhalten was und wie wir sind, sein können und wollen. Müssten uns nicht gerade unsere Vernunftfähigkeit und die Tatsache, dass wir unser Selbst bewusst sind, dazu bewegen den Status Quo zu überdenken? Stattdessen beharren wir auf den Eigenschaften, die uns von Tieren unterscheiden. Dabei könnten wir einfach von unserem hohen Ross absteigen, ihm den Sattel vom Rücken nehmen und uns auf Augenhöhe begeben. Die Folge wäre ein intaktes, harmonisches Miteinander von Menschen und Tieren – ein gemeinsamer Lebensraum, ein Ort gelebter Toleranz, eine Ökotopie!
In diesem Artikel haben wir den Fokus vor allem auf die Wildtiere gelegt, deren Lebensraum wir für unsere Zwecke nutzen. Einen bald folgenden Beitrag möchte ich den „Nutztieren“ widmen, welchen der Mensch ebenfalls kaum Raum zum Leben zugesteht. In diesem möchten wir Euch u.a. das „Land der Tiere“ vorstellen, das zeigt: Ein gelungenes Miteinander von Menschen und Tieren ist möglich. Seid gespannt!