Überall bequem per Smartphone bezahlen – Was in Schweden längst weit verbreitet ist, scheint in Deutschland völlig utopisch. Ein Kommentar zur deutschen Bargeld-Nation.
Vor zwei Monaten in der bayerischen Marktgemeinde Dirlewang
Gespannt blicke ich auf den Kassendisplay, während die Supermarktangestellte die frischen Orangen, ein Salatkopf und ein paar Joghurt-Gläser über den Scanner zieht. Nach dem letzten lauten Piepsen erscheint der Endpreis: 9,95 Euro. „Per Karte bitte“, sage ich. „Erst ab zehn Euro“, entgegnet die Kassiererin. „Sonst sind die Gebühren der Bezahlung für uns zu hoch.“ Verdutzt lege ich schnell noch eine Kaugummipackung auf das Kassenband, um den Mindestbetrag zu erreichen.
Vor rund zwei Jahren in dem Feriendorf Böda in Südschweden
Für einen Sommerjob auf einem Campingplatz stehe ich hinter der Kasse eines Eiskiosks. Zwei Freunde, maximal zehn Jahre alt, kommen in Badehosen und Flipflops vom Strand. Sie beugen sich über die große Eistruhe und nehmen sich gut gelaunt zwei Wassereis heraus. Noch bevor ich sie fragen kann, wie sie bezahlen möchten, strecken sie mir ihre Smartphones entgegen. Über den eingescannten QR-Code an der Kasse haben sie den Preis für die Eis bereits überwiesen. Ein grüner Haken und der Betrag erscheint jeweils als Beweis auf dem Handydisplay.
Vom Nachbarland Schweden lernen
Zwar feiert die flächendeckende Kartenzahlung in Deutschland dieses Jahr ihren 30-jährigen Geburtstag, so der Bundesverband deutscher Banken e.V.; trotzdem hakt das digitale Bezahlsystem an vielen Stellen: Manche Lebensmittelketten auf dem Land fordern einen Mindestbetrag bei der Kartenzahlung. In Großstädten bieten vor allem kleinere Einzelhändler, Restaurants und Kiosks diese oft nicht an.
Völlig anders sieht das in Schweden aus: Dort zahlen Einwohner*innen selbst Minimalbeträge wie das Parkticket, den Hotdog oder das Eis am Strandkiosk per Karte oder Smartphone. Ein paar schwedische Modegeschäfte akzeptiert Bargeld sogar nicht einmal mehr, um sich vor potenziellen Überfällen zu schützen. Und selbst auf privaten Flohmärkten, steht häufig ein Schild mit der Aufforderung per Smartphone über Swish zu bezahlen.
Überweisung per Handynummer
Bei Swish handelt es sich um ein mobiles Zahlungssystem. Mit ihm können Nutzer*innen Geld bequem per Handynummer oder QR-Code an Freund*innen und Unternehmen senden. Im Jahr 2012 führten sechs der größten Banken Schwedens den Dienst ein. Inzwischen ist er dem Unternehmen zufolge weit verbreitet: So nutzen sieben von zehn Schwed*innen das mobile Bezahlsystem.
In Deutschland gibt es bislang keinen vergleichbaren Service, der von Banken entwickelt wurde und flächendeckend eingesetzt wird. Zwar startete vor rund zwei Jahren mit Google und Apple Pay in Deutschland eine Initiative für mobiles Zahlen, allerdings hat sie bislang wenig Erfolg. Laut einer Studie der Deutschen Bundesbank zum Zahlungsverhalten der Deutschen im Jahr 2020, haben nur 13 Prozent der befragten Smartphone-Besitzer*innen mit ihrem Handy schon einmal an der Kasse bezahlt. Darunter fallen vor allem junge Menschen und doppelt so viele Männer wie Frauen. Die Hauptgründe für die geringe Nutzung: Die Befragten sehen bislang keinen Bedarf, empfinden die mobile Zahlung zu unsicher oder zu kompliziert.
Revolutioniert die Pandemie das Bezahlen?
„Wir werden in den nächsten Jahren keine bargeldlose Gesellschaft sehen“, erklärt ein Experte der Deutschen Bundesbank, Dirk Schrade, vergangenes Jahr in einem Fachgespräch vom Ausschuss für Bildung und Forschung. Die Erklärung dafür: Bargeld existiert auch ohne Strom und ist in der deutschen Kultur fest verankert. Trotzdem wurde laut dem Federführer der Deutschen Kreditwirtschaft, Ralf-Christoph Arnoldt, bargeldloses Zahlen in der Pandemie beliebter. So hätten sich im Mai 2020 digitale Transaktionen im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt.
Bleibt zu hoffen, dass sich diese Entwicklung in Deutschland fortsetzt und dazu führt, dass wir bald überall ohne Mindestbetrag mit der EC-Karte oder dem Smartphone bezahlen können. Dann könnte die Pandemie den Weg zur bargeldlosen Gesellschaft doch ebnen, Bezahlen erleichtern und mit der richtigen Technik auch sicherer machen. Meine Utopie von der Welt ohne Bargeld würde dann auch zur Realität.