Es ist alles gesagt

[Meinung] Dieses unsichtbare Ding beschäftigt uns nun schon seit einigen Wochen. Ja, davon reden eigentlich alle. Die Nachrichten? Schulöffnungen hier, Maskenpflicht da. Und Instagram? Die Stories sind voller Stadtbalkonkästen mit blühenden Blumen und Homeoffice-Schreibtisch-Kaffeepresse-Laptop-Jogginghosen-Bildern.

Langsam wird mir das alles ein wenig zu viel. Es ist alles gesagt. Alle Bilder sind gemacht. Wir wissen wie die Lage ist und es wird immer absehbarer wie sich alles entwickelt. Die Normalität ist noch nicht zurück, aber ich muss nicht das dritte Mal eine Insider-Reportage einer Person lesen, die selbst am Virus erkrankt ist. Auch nicht, wenn diese Person noch selbst für das Medium arbeitet, indem über sie berichtet wird. Vielleicht ist es auch eine neue Normalität, die hier entsteht. Eine Normalität, die keiner will, aber alle bekommen.

Ich langweile mich nicht, ich prokrastiniere zu viel

Die Tipps gegen Langeweile habe ich nicht nur schon erledigt, ich würde sie auch gerne umbenennen. Bei mir sind Aufräumen, Laufen und Lesen nämlich nicht die Tipps gegen Langeweile, sondern eher die Tipps für eine noch schlimmere Prokrastination. Genug zu tun habe ich. Nur komme ich nicht wirklich dazu, die Dinge auch zu erledigen. Ich lasse mich einfach viel zu gerne ablenken und lese dann doch, wie jemand zwei Wochen in Isolation mit Lieferdiensten, Videocalls und einem Toilettenpapiervorrat überleben konnte.

Ja, ein bisschen Entschleunigung tut gut. Ja, auch ich stehe ungerne dicht an dicht und verschwitzt in einer vollen S-Bahn, um dann am besten noch von anderen Menschen angehustet zu werden. Das passiert gerade nicht so oft. Wer gerade mit Bus und Bahn unterwegs ist, der*die wird merken, dass kaum etwas los ist. Draußen fühlt es sich ein bisschen an wie der ewige Sonntag. Außer natürlich, dass einige Geschäfte geöffnet haben.

Morgens bin ich immer verpennt

Ja, auch ich genieße es, nicht jeden Morgen ganz früh aufzustehen. Allerdings vergesse ich abends oft die Zeit, bleibe ganz lange wach, stehe am nächsten Tag viel zu verpennt auf, habe das Gefühl, dass ich wieder nichts schaffe und bleibe lange wach. Eigentlich ein ewiger Kreislauf, der viel Kraft braucht, um ihn zu durchbrechen.

Aber mal im Ernst: Ein bisschen vermisse ich doch diese verpönte Regelmäßigkeit. Zweifelsohne haben Homeoffice und digitales Arbeiten, Lehren und Lernen viele Vorteile. Aber sich nur in Positivität des Zuhausebleibens zu wälzen und alle kritischen Stimmen untergehen zu lassen, finde ich nicht nur verkürzt, sondern falsch. Es ist richtig, dass jetzt auch Verständnis gezeigt werden muss, für all diejenigen, die eine Regelmäßigkeit, die täglichen Wege und Routinen, brauchen. Für all diejenigen, die nicht so schnell auf 100% Digitalität umwandeln wollen oder können.

Was kommt?

Ich spreche aus meinen Erfahrungen der letzten Wochen. Webinare können anstrengend sein. Und wenn ich so auf das nächste Semester schaue, dass für viele Studierende am Montag beginnt, dann wird mir ein bisschen unwohl. Nicht, weil ich glaube, dass es blöd wird, aber einfach, weil es herausfordernd wird.

Es ist alles gesagt. Und gerade deswegen müssen jetzt auch Zweifel gehört werden. Ich mache mich jetzt mal drauf und dran, die Tipps gegen Langeweile umzusetzen. Ich gehe Blumen kaufen. Ich brauche ja welche für den Balkon. Die Erde habe ich schon. Insta-Story? Kommt.

Dieser Beitrag ist ein Meinungsbeitrag und spiegelt den Standpunkt des*der Redakteur*in zum jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung wider.

Bild mit freundlicher Genehmigung von pixabay
Alexander Schmitt Written by:

Chefredakteur a.D. FREIHAFEN | Beirat Jugendpresse im Norden | @alexandersmt