Es ist Donnerstag Nachmittag, ich habe keine Uni und ich habe mich bei Tinder angemeldet – zu Recherchezwecken, natürlich. Zu langweilig, zu blöder Spruch -Nein, passt auch irgendwie nicht – oh, ich mag die Fotos.
Erst als sich der leere Handyakku bemerkbar macht merke ich, dass ich die Zeit völlig vergessen habe. Inzwischen ist der halbe Nachmittag vergangen.
Wirklich im Gedächtnis geblieben ist mir aber keine der Personen, die mir in den vergangenen zwei Stunden vorgeschlagen wurden. Trotzdem mag ich Online-Dating. Zum einen, weil sich auf den Plattformen Menschen herumtreiben, denen ich in meinem gewöhnlichen Freund*innenkreis nicht begegnen würde. Zum anderen weil ich mich meist nicht dazu durchringen kann, einen Menschen im echten Leben anzusprechen. Online Dating hingegen ist bequeme Möglichkeit Menschen kennenzulernen und auch schnell wieder zu vergessen, wenns nicht passt.
Dating-Apps haben in den vergangenen Jahren an Beliebtheit gewonnen und erleben durch Corona aktuell einen wahrhaftigen Boom.
Menschen in digitalen Räumen erstmal auf Abstand kennen zu lernen ist ein leichtes Mittel gegen Einsamkeit im Lockdown. Die große Liebe oder Sex Online zu suchen ist längst ordinär .Vor allem junge Menschen suchen virtuell nach neuen Kontakten, einer festen Beziehung oder einfach nur Nähe. Am bekanntesten ist wohl Tinder.
Die Funktionsweise ist weit bekannt. Der Aufbau von Tinder ähnelt einem Spiel. Als Nutzerin bekomme ich verschiedene Personen vorgeschlagen und kann dann innerhalb von wenigen Sekunden entscheiden, ob ich an einer weiteren Interaktion interessiert bin oder nicht. Habe ich Interesse und der oder die geheimnisvolle Unbekannte ebenfalls, sind wir ein sogenanntes Match. Wir können uns im Chat unterhalten, näher kennenlernen und wenn es passt, Nummern austauschen oder ein Treffen vereinbaren. Soweit so banal.
Suche nach Freundschaft, Liebe und Spaß – aber um welchen Preis?
Die kostenlose Version von Tinder bezahlen Nutzer*innen mit persönlichen Daten. Ziel der App ist es, möglichst viele Daten zu sammeln und an Dritte zu verkaufen. Das Speichern meiner Daten funktioniert natürlich am besten, wenn Tinder es schafft, mich möglichst lange auf der Plattform zu halten. Maßgeblich dafür ist die Gestaltung der App.
Ich stelle der App bei der Nutzung sehr viele persönliche Informationen zur Verfügung, teile zum Beispiel mein Geburtsdatum sowie meinen derzeitigen Job mit, wo ich studiert habe und in welcher Stadt ich aktuell wohne. Tinder verkauft Daten laut eigener Datenschutzverordnung aber auch zu Werbezwecken.
„Um in unseren Diensten und auf anderen Sites Inhalte und Werbeanzeigen, die auf Ihre Interessen zugeschnitten sind, zu entwickeln, anzuzeigen und nachzuverfolgen. Und um mit Ihnen per E-Mail und Telefon oder über soziale Medien über unsere Produkte und Dienste zu sprechen, von denen wir meinen, dass sie für Sie interessant sein könnten.“
Diese Daten sollen aber in erster Linie nützlich sein, dass ein*e potentielle*r Traumpartner*in für mich gefunden wird. Mir werden Menschen vorgeschlagen, die ein Algorithmus für mich auswählt und als wahrscheinlich „geeignet“ einstuft. Technologien und Algorrimen sind dabei immer nur so neutral wie ihre Erschaffer*innen. Bei Dating Apps liegt diesen aber zugrunde, dass sie möglichst viele Treffer erzielen wollen. Durch das Swipen der Nutzer*innen lernen die Algorhitmen dazu: Wer finden wen potentiell attraktiv ist die Frage, die dabei im Mittelpunkt steht. Alghoritmen lernen darüber welche Menschen sich am ehesten anziehend finden würden und schlägt entsprechend Matches nach Bildungsabschluss, Standort aber auch nach phänotypischen Merkmalen vor. Das Problem dabei: Oft werden internalisierte Rassismen bedient. Die Präferenzen mit denen der Algorimus gefüttert wird ist dabei nicht diskriminierungsfrei sondern von historisch und kulturell erlernten Präferenzen geprägt. Wenn die App nun nur Menschen vorschlägt, die in diese vorgefertigten Kategorien passen, führt dies zu einer Standatisierung des Datingverhaltes und einem verzerrten Bild der abgebildeten Wirklichkeit.
Das Geschäft mit der Liebe
Darüber hinaus bietet Tinder zusätzliche, kostenpflichtige Funktionen an, die sowohl zu mehr Sichbarkeit als auch mehr Matches führen sollen. Die App gaukelt Nutzer*innen vor, dass wer mehr Geld zahlt, auch schneller Liebe und Intimitätfinden wird. Es wird sich geschickt das basale menschliche Bedürfnis nach Zuneigung, Bestätigung und zwischenmenschlichen Beziehungen zu Nutze gemacht. In anderen Worten: Liebe wird als käufliches Produkt beworben.
Warum ist Online-Dating trotz all dem so beliebt? Eine mögliche Antwort sind die in unserem Körper meist unbewusst ablaufenden Prozesse, welche durch das Surfen auf Dating-Portalen ausgelöst werden. Während des Verwendens der App wird das Belohnungssystem des Gehirns aktiviert.
Durch die immer neuen Vorschläge von attraktiven, potentiell interessanten Dating-Partner*innen wird Spannung aufgebaut – ist es ein Match oder nicht? Ein Match, also die Chance auf ein Date, löst im Gehirn einen ähnlichen Effekt wie ein Gewinn, zum Beispiel bei einem Glücksspiel, aus. Ein Treffer wird von unserem Gehirn als Belohnung empfunden. Scheinbar automatisch unterliegen wir unseren internen physiologischen Prozessen und wollen diese kleinen Glücksmomente immer wieder aufs Neue generieren.
Große Chance ist zugleich starker Schwachpunkt
Tinder hat dabei auch das Potential, das Selbstwertgefühl zu steigern. Anhand von vergleichbaren Werten, kann die eigene Attraktivität und Außenwirkung gemessen werden. Das heißt, je voller der Posteingang und je mehr Matches, desto attraktiver und beliebter schätzt man sich selbst ein. Aber auch: Je mehr Konversationen, desto sozial kompetenter fühlt sich ein*e Nutzer*in.
Dieser Push des eigenen Selbstwertgefühls kann aber auch nach hinten losgehen. Wenige Matches, keine Dates und ein leeres Postfach lösen schnell Frustration und negative Gefühle bei Nutzer*innen aus. Es wird exakt das Gegenteil bewirkt: Der Selbstwert sinkt.
Lange Zeit hat Tinder Nutzer*innen mit dem sogenannten EloScore bewertet. Dabei handelte es sich um einen Algorithmus, der Nutzer*innen nach Attraktivität bewertet hat, um mögliche Partner*innen mit einem vergleichbaren„Attraktivitätsscore“ vorzuschlagen. Zwischendurch wurden dann auch immer wieder Profile mit einem wesentlich höheren EloScore eingeblendet – um die User*innen bei Laune zu halten. Diesen Score hat Tinder nach eigenen Angaben inzwischen aber abgeschafft.
Die Tücken des Online-Dating-Kosmos
Ein weiterer Effekt von Tinder: Die Auswahl ist riesig. Einerseits entsteht so der Eindruck, dass für jede*n eine passende Person dabei zu sein, andererseits fühlen sich viele durch das große „Angebot“ überfordert. Das Problem: Durch die scheinbar unendliche Menge an Optionen wird der Entscheidungswille gehemmt. Gespräche, langfristige Kontakte oder gar Beziehungen kommen deshalb oft gar nicht erst zustande. Nutzer*innen sind immer auf der Suche nach noch Besserem.
Ich habe mein Handy ans Ladekabel angeschlossen und widme mich wieder meinen Uni-Aufgaben. Ob ich morgen wieder den halben Nachmittag mit Tinder prokrastinieren werde?