Wer heutzutage woke sein will, meidet den alljährlichen Black-Friday-Kaufrausch, Winter- und Sommersales, das stetige Den-Trends-Hinterherjagen und natürlich das Einkaufen bei großen Modeketten, wie Primark, H&M, Mango und Co.
Angesichts der Negativ-Schlagzeilen, die Fast-Fashion-Marken regelmäßig aufgrund von inhumanen Arbeitsbedingungen, Ressourcenverschwendung und hohen CO2-Äquivalenten generieren, greifen immer mehr Konsument*innen auf sogenannte Slow-Fashion-Marken zurück. Wie der Name schon sagt, soll Slow Fashion eine Entschleunigung der Modeindustrie bewirken, um Arbeits- und Lebensbedingungen involvierter Menschen zu verbessern und unsere Umwelt zu entlasten. Sich neue Kleidung kaufen zu können, ohne befürchten zu müssen, dass der eigene CO2-Fußabdruck in die Höhe schießt oder womöglich sogar Kinder an der Produktion des neuen T-Shirts beteiligt waren, klingt erst einmal ganz gut. Noch besser: Die Anzahl an Läden, Online-Shops und Marken, die einem ein solches Shoppingerlebnis ganz ohne Sorgen und Schuldgefühle versprechen, wächst stetig.
Shops wie beispielsweise Utopia oder Avocadostore erleichtern Konsument*innen nicht nur den Kauf neuer Textilien, sondern bieten auch hilfreiche Tipps, um das eigene Leben nachhaltiger gestalten zu können – quasi ein Rundum-Sorglos-Sustainability-Paket.
Nachhaltige Mode – Doch nicht ganz so sorglos möglich?
Bei all der Euphorie, die angesichts dieser neuartigen und entschleunigenden Konsumoptionen aufkommt, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass nur privilegierte Menschen die Güter der nachhaltigen Modeindustrie konsumieren können. Ähnlich wie im Lebensmittelsektor, in dem Verbraucher*innen zunehmend versuchen, auf umwelt- und ressourcenschonende Nahrungsmittel zurückzugreifen, ist bekanntermaßen auch der Umstieg auf nachhaltige Mode-Alternativen mit einem höheren Preis verbunden. Hinzu kommt, dass die Suche nach fair gehandelter und umweltschonend hergestellter Kleidung oftmals nicht nur einen höheren Kostenaufwand bedeutet, sondern auch mit einem höheren Zeitaufwand einhergeht.
Während ein neuer Winterpullover, der auf dem konventionellen, schnellen Weg in die Hände der konsumierenden Person gelangen soll, in der Regel nur einen Mausklick entfernt ist und dazu sehr günstig ist, beginnen die Preise für Slow-Fashion-Pullover meist erst bei 80 Euro. Soll das neue Schmuckstück nun auch noch auf einem möglichst umweltschonenden Weg im Kleiderschrank landen, ist der direkte Gang in einen Laden nahezu unumgänglich.
Klar ist also, dass nachhaltiger Konsum von neuer Mode in vielen Fällen mit Einschränkungen auf individueller Ebene einhergeht. Ein solches restriktives Konsumverhalten ist jedoch keineswegs schlecht. Ist es doch gerade das Ziel von Slow Fashion zu einer Entschleunigung der Modeindustrie beizutragen, die bestenfalls dazu beiträgt, dass Kaufentscheidungen bewusster und mit Rücksichtnahme auf Umwelt und Mitmenschen getroffen werden.
Für viele Menschen bedeutet ein bewussterer Modekonsum demnach lediglich, dass der Wunsch nach neuer Kleidung nicht mehr wöchentlich befriedigt wird und dass die letztendlich getätigten Anschaffungen eine teurer sind als Fast-Fashion-Käufe.
Für Verbraucher*innen, die sich einen derartigen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand leisten können, sind die Restriktionen verkraftbar. Und der befriedigende Shoppingrausch an Black-Friday-Verkaufstagen oder Sale-Verkäufen wirkt aus moralischer und ökologischer Perspektive vermeidbar. Diejenigen jedoch, die nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, um ebenfalls auf nachhaltigen Modekonsum umzusteigen und stattdessen weiterhin auf konventionelle Weise shoppen, geraten häufig in regelrechte Verteidigungspositionen.
Privilege-Check anstelle von Consumer-Blaming
So unverständlich dieses vermeintlich altmodische Kaufverhalten im ersten Moment wirken mag, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Fast-Fashion-Einkäufe und Rabatt-Aktionen für viele Verbraucher*innen die oftmals einzigen Optionen sind, um neue Waren zu konsumieren.
Beim Treffen von Kaufentscheidungen ist bestenfalls auf eine nachhaltige Produktion und faire Arbeitsbedingungen zu achten. Wichtig ist jedoch, dass diejenigen, die sich in einer vorteilhaften sozioökonomischen Position befinden und sich dementsprechend teurere Slow-Fashion-Produkte leisten können, ihre eigene privilegierte Situation zu erkennen, anstatt sich selbst moralisch zu überhöhen.
Die Menschen zu diffamieren, die ohnehin schon mit Vorurteilen, Diskriminierung und Klassismus zu kämpfen haben, würde zudem keinen klima- und menschenrechtsorientierten Diskurs vorantreiben, sondern lediglich zu einer weiteren Spaltung zwischen Arm und Reich führen.
Beim ganzen Hype um die neuen Möglichkeiten, seine Garderobe auf nachhaltige Weise aufzufrischen, darf also wieder einmal nicht vergessen werden, dass nicht alle Menschen über die gleichen finanziellen, sozialen, bildungspolitischen und zeitlichen Ressourcen verfügen.
Gemeinsam für mehr Gerechtigkeit
Die Vergangenheit hat gezeigt: Jeder gesellschaftliche Wandel erfordert Engagement auf individueller Ebene. Sei es der Verzicht auf Plastikverpackungen beim Wocheneinkauf, der Umstieg auf Holz-Zahnbürsten oder der Eintausch des eigenen Autos gegen das gute alte Fahrrad. Wie die Lebensrealität sozioökonomisch schwacher Menschen zeigt, reicht der individuelle Wille zur Veränderung jedoch nicht aus, wenn der gewünschte nachhaltige Lebensstil unbezahlbar ist. Anstatt also diejenigen abzuwerten, die, dem herrschenden Narrativ nach, „rückständig“ konsumieren, sollte jede*r Einzelne*r die eigene Energie nutzen, um sich für einen grundlegenderen Systemwandel einzusetzen.
Und als kleiner aber feiner Tipp zum Schluss: Wem es nicht zwingend darum geht, sich einen tatsächlich neuen Artikel zu gönnen, kann sich selbstverständlich ins Second-Hand-Shoppingerlebnis stürzen. Diese Variante des Modekonsums ist nicht nur die nachhaltigste– solange kommerzielle Second-Hand-Ketten gemieden werden – sondern bringt oftmals auch am meisten Spaß!