Konsum hat viele Facetten. Das Wort löst zumindest bei vielen jungen Menschen ein schlechtes
Gewissen oder einen Kotzreiz aus. Durchaus berechtigt, aber kann man auch gutes am Konsum
finden? Natürlich wissen die meisten von uns bereits, dass der Konsum nicht per se schlecht ist,
dass es darum geht wie man konsumiert. Aber ich möchte dir neue Perspektiven und Argumente an die Hand geben. Mehr als: Überkonsum ist schlecht, weil er verschwenderisch und nicht nachhaltig ist, und weil die Güter ungerecht verteilt sind.
Die Suche nach dem guten Konsum. Im klassischen oder auch volkswirtschaftlichen Sinn
bedeutet Konsum erstmal als privater Mensch Dinge zu kaufen. Nach unserer Assoziation – ganz, ganz viele Dinge. Zunächst schaue ich in meine eigene Biografie. Was bedeutet Konsum für mich und meine soziale Blase? Als ich klein war, habe ich zum Geburtstag und zu Weihnachten viel zu viele Geschenke bekommen. Verwöhntes weißes Kind der Mittelschicht. Aber heute soll es nicht um Ungleichheiten gehen, sondern darum warum die, die es können, so konsumieren, wie sie es tun. Ich habe also von klein auf gelernt, dass es toll ist viel zu haben. Viel und neu. Meine Eltern haben mir – wahrscheinlich unbewusst – den Satz eingebrannt „Geld ist zum ausgeben da.“ Stimmt irgendwo. Genau wie sie kann ich heute nicht mit Geld umgehen. Woher ihr Denken kommt, könnte wiederum an der Generation ihrer Eltern liegen. Mein Oma erzählt, als sie ein Kind war, hatte ihre ganze Familie zusammen, zum Weihnachtsfest, zwei Tafeln Schokolade und ein paar Trockenfrüchte. Ihre Mutter begnügte sich mit einer Handvoll Kaffeebohnen, die sie sich in den folgenden Wochen pedantisch einteilte. Heißt sie mahlte sich zwei Bohnen am Tag und trank die reinste Plörre. In einem Jahr bekam meine Oma eine Ziehharmonika geschenkt. „Das war das Größte!“, sagt sie. Meine Oma war Kind kurz nachdem der zweite Weltkrieg endete. Vielleicht musste für diese Generation eine Wiedergutmachung stattfinden. Und auf meine Eltern ist dieses Gefühl abgefärbt.
Meine Mitbewohnerin erinnert sich an eine andere Kindheit. Sie war es gewohnt mit ihren Eltern im Biosupermarkt oder in generell eher kleineren Läden einzukaufen. Nachhaltig einzukaufen. Was Essen angeht, aber auch Gegenstände. Solche, die im einzelnen Bedeutung haben und an denen man sich lange erfreut. Im Jugendalter haben wir eine ähnliche Erfahrung. „Shoppen“ wurde zur sozialen Aktivität. Bei mir bedeutete es, von der Vorstadt, wo ich aufwuchs, erstmals selbstständig in die Innenstadt zu kommen. Es bedeutete zumindest ein kleines bisschen mehr zu erfahren, was es heißt in einer Großstadt zu wohnen. Und was konnte ich mit 14 anderes in der Innenstadt tun, als in Läden zu gehen. Davon abgesehen bedeutet Geld Verantwortung. Und Unabhängigkeit. Es fühlte sich toll an ganz frei zu entscheiden, was ich kaufe, auch wenn es der größte Mist ist. Und ich fühlte mich erwachsen. Bei meiner Mitbewohnerin kam ein anderer Aspekt dazu. Erst völlig überfordert mit dem großen Angebot, als sie erstmals ein Einkaufszentrum mit einer Freundin besucht, wird sie schnell zur Gewinnerin ihres persönlichen Shopping-Contest. Wer die meisten Sachen findet, die schön aussehen und gut passen, wer am meisten kauft, gewinnt. Sie weiß warum sich dieser Wettbewerb – nur in ihrem Kopf – abspielte. Sie wollte Dinge, die sie schöner aussehen lassen, die möglichst girly sind und in die sie gut reinpasst. Sie passt gut rein. In die Ideale, die sie gelehrt wird. Kauf zur Anpassung. Fehler, die die Industrie erfindet, um dann für Geld eine Lösung anzubieten. Kapitalismus, bäm. Vielleicht könnte man den Leuten die auch jetzt noch Shopping als normale Freizeitbeschäftigung, als Hobby betrachten das vorhalten. Aber ist es so einfach? Auch wenn ich jetzt lieber gebrauchte Klamotten kaufe, freue ich mich über die für mich neuen Dinge. Irgendwie ist der Tag ein bisschen besser, nachdem ich etwas cooles für wenig Geld gefunden habe. Ich kaufe vielleicht keine Fast Fashion mehr und nenne das was ich tue nicht Shopping, aber ich kaufe Dinge und freue mich darüber.
Die Magie der Dinge.
Was steckt hinter dieser Magie? Vor allem die Tatsache, dass wir Beziehungen zu Dingen aufbauen. Ganz unabhängig von Werbung! Ich möchte die Gründe dafür aufzeigen.
Es gibt da so zwei psychologische Prinzipien: Animismus und Anthropomorphimus. Das erste sagt in etwa aus, dass alle Dinge, alle Objekte dieser Welt beseelt sind, dass wir Menschen das auch so wahrnehmen1. Das zweite Fachwort meint, wir Menschen neigen dazu nichtmenschliches zu vermenschlichen, z.B. Gegenstände oder Tiere. Ein paar Beispiele: Der Disney-Pixar Film Cars zeigt Autos mit Gesichtern. Nehmen wir Auto-Fronten nicht auch außerhalb des Films oft als Gesichter wahr? In Alles steht Kopf werden sogar Gefühle personifiziert. Menschen geben ihren Autos einen Namen, wir ertappen uns dabei, wie wir mit dem Drucker reden, wenn er rumbockt – sowieso, wenn ein Gerät nicht das macht, was es soll, wird das als aufmüpfiges Verhalten empfunden2. Als würde das Teil sich bewusst querstellen, als hätte es ein Bewusstsein.
Elektronische Geräte werden physisch, sowie mental immer ungreifbarer durch gleichzeitige Miniaturisierung, aber immer steigende Komplexität, die einer Seele ähnelt. Dem Gerät scheint etwas aktives, das wir nicht sehen können, innezuwohnen. Indem wir Oberflächen steicheln und betippen entsteht eine spezielle Nähe. Bei Gestensteuerung und Sensoren verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Maschine. Auch nicht-technologische Objekte scheinen beseelt3. Vor allem geht in der Interaktion eine gewisse Macht von ihnen aus. Werkzeuge zum Beispiel sind nicht passiv bei der Anwendung. Sie bestimmen Haltungen, Gebrauchsweisen und Gewohnheiten. Ein Hammer zum Beispiel. Er funktioniert, indem er geschwungen wird und dadurch mit einer gewissen Kraft gegen ein anderes Objekt schlägt, also meistens einen Nagel. Klar kannst du auch eine andere Bewegung mit dem Hammer machen als Schwingen und Schlagen, die Funktionalität ist dann aber wahrscheinlich nicht mehr geleistet.
Das führt mich zu einem weiteren Fachbereich aus dem ich Lehren ziehen möchte. Den der Embodied Interaction. Die Lehre von Embodiment definiert sich wiefolgt: Embodiment ist „die Abhängigkeit allen Bewusstseins von einem Körper, dessen Beschaffenheit, Funktionen und Einbettung in eine Umwelt [bestimmend] für phänomenales Erleben und bewusste Erfahrung sind.“4 Dem liegt ein bestimmtes Verständnis zugrunde. René Descartes’ Geist-Seele-Dualismus,
wird überwunden. Mehr noch – er gilt als unwahr.5 Ich fasse Descartes Theorie jetzt mal sehr einfach zusammen: das geistliche (denken) und das körperliche seien beim Menschen voneinander getrennt. Diese zwei Teile könnten sich zwar gegenseitig beeinflussen und miteinander interagieren, doch sie existieren auch unabhängig voneinander. Das eine braucht das andere nicht zum fortbestehen.
Beim Embodied Interaction Design nimmt man an und zeigt selbst, wie sehr der menschliche Geist mit dem Körper und zusätzlich der Mensch und seine physische Umwelt verbunden sind. Dass die physische Umwelt unser Bewusstsein beeinflusst, sieht man zum Beispiel daran, wie der Mensch Informationen verarbeitet. Wenn er mit einem Schneebesen arbeitet, finden mehrere Prozesse statt. Das Gehirn speichert das Wort Schneebesen neutral wie in einem Lexikon, gleichzeitig verbindet es das Objekt aber auch mit der individuellen Erfahrung, wie es sich anfühlt und welche Bewegung man damit macht. In diesem Fall ist es möglicherweise kaltes Metall und eine Schleuderbewegung. Lebewesen haben außerdem eine sehr gute Vorstellung von den Maßen ihres eigenen Körpers. Sonst würden wir andauernd irgendwo anstoßen und könnten uns nicht fortbewegen. Der Mensch kann dies sogar auf andere Körper übertragen. Zum Beispiel beim Autofahren.
Jelle van Dijk, Dozent für Interaktionsdesign an der University of Twente, macht eine Auflistung dessen, wodurch die körperliche Welt unser Denken und Handeln beeinflusst.6 Dadurch zeigt er, dass Wahrnehmen und Denken kein abgeschlossener Prozess ist auf den eine Bewegung folgt, sondern dass es sich dabei um ein ständiges Wechselspiel handelt: Fähigkeiten (Skills) zeigen, dass man manche Dinge erst durch ständige Wiederholung von körperlicher Bewegung lernt und nicht durch theoretisches Wissen. Unsere Umwelt gibt uns vor, wohin und wie wir uns bewegen können. Wir können unsere Umwelt verändern, doch dann hat die Umwelt wiederum Einfluss auf unser Handeln und wir bewegen uns angepasst an die neue Umwelt. Werkzeuge ermöglichen ganz neue Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Umwelt und erweitern sinnbildlich unseren Körper. Andere Menschen verändern unsere Körperhaltung, unsere Gestik und unsere Mimik, indem wir auf sie reagieren. Wir platzieren bestimmte Objekte in unserer Umgebung, um von Ihnen an etwas erinnert zu werden, um sie wiederzufinden oder weil sie sonstige Wirkungen auf uns haben.
Ein Freund berichtete von der Erfahrung, dass nachdem er eine bestimmte Auswahl an Gegenständen auf einen Camping-Ausflug mitgenommen hatte, diese Dinge hinterher eine besondere Bedeutung für ihn hatten. Er hatte zwei Wochen lang nur diese sehr begrenzte Anzahl an Dingen benutzt und das in ganz bestimmten Situationen. Die Sachen waren nun mit individuellen Emotionen und Erinnerungen aufgeladen. Beim Konsumieren von Musik geht der Trend bei Leuten, die es sich leisten können, zurück zum Plattenspieler, sogar zu Kassetten. Zumindest ist eine Begeisterung da. Das einzelne Lied oder das Album nimmt ganz viel Raum ein, hat seinen Platz im Regal, benötigt einen aufwändigen Akt, also das Herausholen und Auflegen auf den Plattenspieler, um empfangen werden zu können. Das alles im Kontrast zum Streaming, das in den letzten Jahren die Norm wurde. Dort werden einem Lieder, Filme, Serien etc. zu Hauf entgegengeworfen. Eine Flut. Alles verliert seine Bedeutung. Nur noch eins von vielen. Und vor allem – ein körperloses Medium, dass in den Tiefen der ungreifbaren, digitalen Welt verschwindet. Nicht zum Anfassen. Es gibt Ansätze im sogenannten Tangible Design (tangible = dt. greifbar, konkret, fühlbar), als Teil des Interaktionsdesigns (Interaktion Mensch und Maschine) dem entgegenzuwirken.7 Es werden kleine Holzblöcke gestaltet, sie sich angenehm und weich anfühlen. Wenn sie auf das Empfangsgerät gelegt werden, eine schlichte Oberfläche, wird ein konkretes Medium abgespielt (Lied, Foto, Film). Das Digitale bekommt wieder einen Körper. Der Holzblock als Metapher. Die Ansätze verbleiben bisher beim Ansatz, aber der Gedanke ist da.
Was heißt das alles nun? Was bedeuten all diese Erkenntnisse für unseren Konsum?
Körperlichkeit ist wichtig und bestimmt unser Denken, unser Verhalten, unsere Gefühle. Wir sollten uns also ganz aktiv mit solchen Dingen umgeben, die uns so beeinflussen, dass es uns besser geht. Sie können uns helfen besser organisiert zu sein, sie speichern Informationen für uns. Sie können uns an Erlebnisse, an Personen erinnern. Sie strahlen etwas aus, erzählen eine Geschichte. Oder sie fühlen sich einfach gut an. Es geht mir darum, dass wir bewusster konsumieren können, weil es uns ganz direkt gut tun kann, weil es uns dann tatsächlich bereichert und Spaß macht. Second-Hand-Shoppen macht wahrscheinlich nicht so vielen Leuten Spaß, weil es nachhaltiger ist, sondern weil die Klamotten in diesem Laden Einzelstücke sind, weil sie schon etwas erlebt haben. Weil sie aufgeladen sind. Wir können einen neuen Fokus legen, bei Dingen die wir kaufen. Und vielleicht kann ich heute zu meiner Oma sagen: Wir haben uns erholt. Wir haben das Wenige kompensiert. Es ist genug und wir können obwohl wir uns mehr leisten können, trotzdem das Einzelne, Kleine wertschätzen.
Quellen
1 hierzu und im Folgenden https://blog.mynd.com/de/anthropomorphismus (29.11.2021)
2 Judith Dörrenbächer, Kerstin Plüm (Hg.) Beseelte Dinge, 2016 transcript Verlag, Bielefeld, 27
3 hierzu und im Folgendem Judith Dörrenbächer, Kerstin Plüm (Hg.) Beseelte Dinge, 2016 transcript Verlag, Bielefeld, 15 f.
4 hierzu und im Folgenden https://lexikon.stangl.eu/2175/embodiment/
5 https://youtu.be/35aCApNDmUg (29.11.2021)
6 hierzu und im Folgenden https://youtu.be/tHQK2M1ercA (29.11.2021)
7 https://www.youtube.com/watch?v=9u1n79qJUxM&feature=emb_logo (29.11.2021)
Illustration Greta Lüdemann